Da Shirin nach dem Tod von Hannibal wieder einsam und traurig ihr Leben fristete, benachrichtigte ich die Organisation und fragte, ob nicht irgendein Windhundrüde gerade ein Plätzchen suchte.
Ich bekam die Antwort, dass mehrere Hunde einen guten Platz suchen, aber dass man es der unglücklichen Shirin unbedingt ermöglichen müsse, sich selber einen Partner auszusuchen.
So fuhren Shirin und ich eines Tages in den Hardwald, wo ein mittelgrosses Auto mit mehreren Windhunden auf uns wartete.
Shirin, kaum bei mir ausgestiegen, steuerte sofort auf einen älteren Mann zu und begrüsste freudig seinen betagten Beagle-Rüden. Als wir dem Mann erklärten, um was es bei unserem Treffen jetzt gerade ging, meinte er, dass wir aber ihn dazunehmen müssten, falls wir Interesse an seinem Beagle hätten.
Die Windhunde durften das Auto dann auch bald verlassen und Shirin näherte sich einem grossen, kräftigen hell gestromten Rüden mit weissen Abzeichen. Dieser Hund sei eine Mischung zwischen Greyhound und Galgo, stamme aus Spanien, sei jedoch nie auf der Rennbahn gelaufen und auch nie zur Jagd verwendet worden. Seine wichtigste Aufgabe war bisher ,einfach „schön zu sein“.Er hätte längere Zeit an einem geeigneten Platz verbracht, sei jedoch durch einen neuen Partner der Besitzerin mit Hundezuwachs dort verdrängt worden. Er sei zusammen mit seinen Brüdern als Welpe in die Schweiz gekommen, weil er eben so schön sei. Für Shirin stand fest, dass es sich bei „Mistral“ um ihren Traumprinzen handelte.
Anfänglich erschien mir dieser extrem sensible Hund ziemlich „langweilig“ Er zeigte kaum Regungen, folgte uns bald einmal ohne Leine in kurzem Abstand überallhin. Mit der Zeit hatte ich den Eindruck, dass Mistral Gedanken lesen konnte. Denn wenn ich dachte „heute gehen wir links, statt rechts“, dann wählte er schon die Abzweigung nach links. Jedoch einige Wochen später pflegte er immer schneller voraus zu eilen und oftmals war er ausser Sicht. Sein Appell jedoch war glücklicherweise von Anfang an hervorragend.
Leider entwickelte sich Mistral zum ewigen Prügelknaben der andern Hunde. Immer wieder wurde er von Gross und Klein aus dem Nichts heraus angegriffen, auch von Hunden, die sonst diesbezüglich keine Probleme zeigten. Seine feine Haut war dann jeweils auch schnell verletzt und Mistral zeigte sich immer aengstlicher bei Hundebegegnungen, was das Ganze verschlimmerte.
Auch Mistral durfte in den „Hundesport“ und er war derjenige, der sich am leichtesten motivieren liess, ein paar Kommandos zu lernen und gewisse „Denkspiele“ mitzuspielen.
Bei Mistral handelte es sich jedoch um einen Hund, der immer mehr unter „falschen Verknüpfungen“ litt .Als ich einmal ein paar Tage mit Shirin und Mistral in Zurzach verbrachte, wurde der arme Prügelknabe wieder einmal durch einen kräftigen Appenzeller Bauernhofhund angegriffen und auch gebissen. Man sah nur Schürfwunden, aber der Verletzte zeigte trotzt Medikamenten anfallsweise starke Schmerzen. Das ging dann so weit, dass ich die Ferien vorzeitig abbrechen musste, da der Hund im Hotelzimmer nirgends mehr essen konnte, weil ihn die Schmerzen immer wieder mal in Angst und Schrecken versetzten, auch wenn ich seinen Napf an unterschiedlichen Stellen platzierte. Röntgenologisch konnte man zuhause den Ursprung der Schmerzen nicht eruieren. Die Anfälle liessen jedoch nur sehr sehr langsam nach . Shirin wurde indessen immer mutiger und zeigte Ansätze, ihren Partner gegen alle , sich ihm nähernden Hunde zu verteidigen.
Da Mistral sich nun konsequent von Shirin beschützt fühlte konnte er sich langsam wieder vollständig erholen.
Nach einiger Zeit stellte ich bei Shirin auf der Schulter des linken Vorderlaufs einen grossen Knoten fest. Da dieser sehr schnell entstanden war, vermutete ich eine Prellung und gab ihr entzündungshemmende Medikamente. Der Knoten wurde jedoch bald hart, breitete sich nach innen aus, bis er die Hündin deutlich beim Gehen behinderte. Ich musste mich der Tatsache stellen, dass meine geliebte Hündin nun an Krebs erkrankt war.
Shirin begleitete uns immer noch auf all unseren Spaziergängen, aber wir mussten uns oft hinsetzten und ausruhen, da die Hündin sich nun zeitweise auf drei Beinen fortbewegte. Das linke Hinterbein war ja eh schon verkürzt, so dass ihr das Laufen nun wirklich grosse Mühe bereitete. Sie stand jedoch tapfer zu ihrem Mistral und wurde zur Furie, wenn ein anderer Hund sich ihm in schlechter Absicht näherte.
Es war Frühling..bald wieder einmal Ostern und ich fuhr mit Shirin und Mistral nochmals zu den Orten, wo wir all die Jahre unsere Spaziergänge begonnen hatten. Jedoch konnten wir uns da nur noch kurz in die Sonne setzten.
Am letzten Tag, wollte die Hündin noch den ganzen Weg von der Wohnung zur alten Praxis humpeln, setzte sich dort in die Wiese und war dann zu keinem weiteren Schritt zu bewegen. Das war für mich ihre Entscheidung, dass Shirin sich jetzt auf die Regenbogenbrücke begeben wollte. Ich trug sie langsam nach Hause und gab ihr dort auf ihrem geliebten Sofa die letzte Spritze.
Um uns abzulenken wollte ich mit dem traurigen Hundewittwer noch am selben Tag auf dem Bruderholz spazieren gehen. Plötzlich wurde neben uns eine Autotüre geöffnet und zwei grosse Hunde stürzten sich direkt auf Mistral. Sie drehten ihn auf den Rücken und bissen ihn in den Bauch.
Die weiche Haut am Bauch zeigte vier Löcher von den Eckzähnen. Zuhause angekommen versorgte ich die Wunden und verabreichte dem schockierten Patienten Schmerzmittel und Antibiotika. Von diesem Augenblick an jedoch war Mistral nie mehr gesund. Vermehrt musste ich erleben, wie der Hund plötzlich zu schreien begann. Zweimal brach er unterwegs zusammen, erhob sich dann wieder um normal weiterzulaufen. Seine Aengstlichkeit nahm noch zu. Und obwohl ich in der Hoffnung, dass ihm ein neuer Zweithund eine Stütze sein könnte, den „Spike“ zu uns nahm, war der Mistral drei Wochen nach Shirins Tod nicht allein psychisch, sondern auch körperlich nur noch ein Schatten seiner selbst.
Da die Klinik in Lörrach über ein breites Spektrum an Diagnosemöglichkeiten verfügt, beschloss ich bald einmal, meinen Mistral dort dem Professor vorzustellen, dem die Klinik gehörte.
Nach einer umfassenden Blutuntersuchung, sowie einer Röntgenabklärung , blieb uns das Leiden von Mistral nach wie vor ein Rätsel. Der Professor beschloss , eine Probelaparatomie vorzunehmen, das heisst, den Hund aufzuschneiden, um nachzuschauen ob im Bauchbereich etwas nicht stimmt.
Nachdem die Bauchhöhle eröffnet war, rief mich der Arzt und wir sahen ein Krebsgeschwür, das quasi um die Hauptschlagader im Beckenbereich wie rundherumgewachsen war. Daher verspürte Mistral die anfallsweisen Schmerzen und Schwächeanfälle in der Hinterhand. Der Tumor unterbrach teilweise die Durchblutung , ähnlich einer Thrombose. Wir entschieden, dem leidenden Hund noch auf dem Operationstisch die erlösende Spritze zu verabreichen.
So hatten ..innert 3 Wochen sich beide Windhunde von mir verabschiedet.
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